Donnerstag, 16. Februar 2017

Warum ich so bin wie ich bin .... Mutationsfaktor 5 Leiden

Dienstagmorgen, 7 Uhr, ich gehe ins Bad, halte mich am Türrahmen fest, merke, wie ich in Watte eingehüllt werde, schleppe mich noch zur Toilette, um mich hinzusetzen... Das Nächste, was ich wieder mitbekomme, dass ich auf dem Boden im Bad liege, mein Kopf tut weh, ich kann nicht gut atmen. Ich bekomme Angst, panische Angst, mein Herz rast. Die große Motte ist noch da, schießt es mir durch den Kopf. Ich rufe sie, mehrfach, erst dann hört sie mich. Bitte sie, mir mein Handy zu holen. Ich komme nicht vom Boden hoch. Rufe meinen Hausarzt an und gott sei Dank geht er schon ans Telefon (zu der Zeit wohnen wir in einem 2500 Seelendorf). Er kommt vorbei. Ich wollte an diesem Morgen eh zu einem Arzt, da mir ein Bein immer so weh tat. An eine Thrombose habe ich zu dem Zeitpunkt nicht gedacht, warum auch, das war doch eine Alte-Leute-Krankheit. Ich merkte, dass mein Hausarzt sich unschlüssig war. Er untersuchte mich und bat mich dann, später in seiner Praxis vorbeizuschauen. Er half mir ins Bett.

Später, der Weg war eigentlich nur 10 min zu Fuß zu seiner Praxis, aber ich brauchte bestimmt eine halbe Stunde, bekam keine Luft, musste immer wieder stehenbleiben. In der Praxis noch mehr Untersuchungen, zum Schluss der Verdacht auf Thrombose mit Lungenembolie und er rief einen Krankenwagen, damit ich in die Klinik kam. Meine Tränen liefen nur noch so. Mein erster Gedanke war die große Motte. Ich war zu dem Zeitpunkt zwar kein Single, wir hatten aber noch eine Fernbeziehung, mein Prinz und ich. Die große Motte war in der Schule, ich hatte sie fahren lassen. Später erfuhr ich, dass sie sich einen Riesenkopf um mich gemacht hatte. Ich rief die Mutter ihrer Freundin an, damit sie wenigstens nach der Schule nicht allein daheim war, wenn sie es erfahren sollte, da ich einen längeren Krankenhausaufenthalt vermutete.

In der Klinik angekommen, bestätigte sich der Verdacht. Es wurden weitere Untersuchungen und Tests gemacht, um herauszufinden, woher die Thrombose kommen könnte. Die erste Nacht auf der Intensivstation. Geschlafen habe ich kaum. Meine Gedanken kreisten immer wieder um die große Motte. Wer kümmerte sich um sie? Bei wem konnte sie bleiben? Natürlich hatte ich meinen Prinzen informiert, aber – jedenfalls nahm ich das an – er konnte ja auch nicht einfach mal so weg von der Arbeit. Nun, falsch gedacht, am nächsten Tag stand er einfach mal so im Zimmer bei mir im Krankenhaus. Meine Tränen versiegten endlich einmal. (Die große Motte hätte zwar bei ihrer Freundin ein paar Tage bleiben können, aber es war mir lieber, wenn sie in ihrer gewohnten Umgebung bliebe.) In diesem Moment wusste ich, es war der Richtige. Nicht, weil er alles stehen und liegen ließ für mich, sondern weil ich mich sicher aufgehoben fühlte bei ihm. Dennoch nervte ich die Ärzte so, dass ich nach 10 Tagen schon entlassen wurde. Mein Hausarzt erkundigte sich auch immer wieder im Krankenhaus nach mir, ich habe mich danach auch ganz doll bei ihm bedankt. Wer weiß, was noch gekommen wäre, wenn er nicht gleich nach mir gesehen hätte an jenem Morgen.
Der Prinz hatte nur Unsinn im Kopf
Natürlich war ich noch nicht arbeitsfähig, musste ständig zu irgendwelchen Ärzten, Tests, Ergebnisse etc. Herausgefunden selbst wurde, dass ich einen Gendefekt, den Mutationsfaktor V, auch genannt APC-Resistenz, habe. Dies ist eine Erbkrankheit. Bei dieser ist das Thromboserisiko um ein Vielfaches höher als bei Menschen, die dies nicht haben. Es ist eine genetische Mutation am Blutgerinnungsfaktor (es gibt nicht nur den Faktor 5, sondern auch noch andere Faktoren). Es gibt zwei verschiedene Härtegrade: heterozygot (nur ein Elternteil hat es auch) und homozygot (beide Elternteile haben es). Bei mir ist es heterozygot und somit habe ich ein 5-10fach höheres Risiko, eine Thrombose zu bekommen. Bei Homozygoten ist es 50-100fach mal höher, tritt aber nur sehr selten auf.

Wie wird diese Krankheit behandelt? Im Krankenhaus bekam ich dann Heparinspritzen. Diese sollten dafür sorgen, dass das Blut flüssiger ist und somit den Thrombus, den Verursacher der Thrombose bzw. der Lungenembolie, aufzulösen. Nach Entlassung wurde ich mit Marcumar-Tabletten eingestellt und musste immer wieder das Blut kontrollieren lassen. Nach ca. 6 Wochen konnte ich dann auch wieder zur Arbeit gehen. Mittlerweile muss ich keine Tabletten mehr nehmen, das Blut wird aber regelmäßig kontrolliert.

Wenn ich lange Strecken mit dem Auto fahren muss oder mit dem Flugzeug in den Urlaub möchte, muss ich Thrombosestrümpfe anziehen und mir Heparin spritzen. Auch wenn ich z. B. nur mal länger im Bett liege, wie letztes Jahr mit der Grippe, bekomme ich Heparinspritzen, ebenso wie nach Operationen. Gerade bei ärztlichen Behandlungen muss unbedingt angegeben werden, dass man ein solches Mutationsfaktor-Leiden hat. Ebenso für Frauen ist es sehr wichtig, dies bei ihrem Gynäkologen anzugeben, denn dann sind Hormon-Verhütungsmittel (Pille, Spirale) verboten. Übrigens muss man sich auch in der Schwangerschaft Heparin (oftmals) spritzen, wenn man ein Mutationsfaktor-Leiden hat. Von unseren 3 Kindern haben die große Motte und das Würmchen auch diesen Gendefekt. Das haben wir bald testen lassen, da es ja eine Erbkrankheit ist. Des Weiteren sollte man sich weitestgehend gesund ernähren, Sport treiben und nicht rauchen.

Übrigens heißt diese Krankheit „Leiden“, weil es erstmals in der niederländischen Stadt Leiden erkannt wurde. Nicht, weil man darunter „leidet“ 😉 Nun, leiden tut der ein oder andere vielleicht, aber wenn man alles befolgt, „leidet“ man darunter nicht unbedingt. Man muss nur gewisse Vorschriften befolgen, dann geht es einem gut.

Warum nun diese Überschrift zu diesem Artikel? Ich war vorher schon relativ selbstbewusst und habe mir (fast) nichts gefallen lassen. Als ich danach aber immer wieder zu hören bekam „und Sie leben noch? Da haben Sie aber viel Glück gehabt!“, wurde mir erst bewusst, dass ich dem Tod tatsächlich im wahrsten Sinne „von der Schippe gesprungen war“. Oftmals gehen Lungenembolien nämlich tödlich aus. Noch heute läuft es mir kalt rieselnd den Rücken hinunter, wenn ich daran denke, was wäre wenn. Das darf ich gar nicht so oft machen. Ich denke, auch dadurch bin ich härter geworden. Härter zu mir selbst, härter im Leben. Ich lasse mir nichts mehr gefallen und auch wenn ich dadurch irgendwo anecke...ich mache das, was MIR gut tut und das ziemlich bewusst!

Es klingt hart und egoistisch, ist es im großen Sinne auch. Allerdings bin ich bisher damit gut gefahren. Natürlich versuche ich, mir selbst treu zu bleiben, aber ich habe mich dadurch verändert, das weiß ich. Die mich kennen, wissen das. Die mich kennen, akzeptieren das. Die mich kennen, scheinen mich so zu mögen, wie ich bin 😉

In diesem Sinne wünsche ich Euch so etwas, was mir passiert ist, NIEMALS! Ihr könnt aber gerne einen Kommentar hinterlassen, wenn Euch auch mal etwas im Leben passiert ist, wo Ihr danach Euer Leben verändert habt.

Eure Ivi



2 Kommentare:

  1. Liebe Ivi

    Du musst einfach mehr an dich denken. Das nenne ich gesunder Egoismus. Mir nur gerade von deinem Arzt schockiert. Er hilft dir ins Bett? Du sollst später bei ihm vorbeischauen. Meine Güte, du hättest "SOFORT" ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Alles Gute für Dich.

    Ganz liebe Grüße,
    Gisela

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    1. Liebe Gisela,
      mittlerweile mache ich das ja ;) Deswegen dieser Artikel, weil manche Menschen denken, ich sei egoistisch ;)

      Ja, heute wissen wir alle, dass ich hätte sofort ins KH gemusst, aber es waren eben nicht die "typischen" Beschwerden einer Thrombose gegeben. Das Bein tat "nur weh", nicht übermäßig. Es war auch nicht heiß und ich hatte keinerlei andere Symptome. Ich denke, er war als "Dorfarzt" einfach mit der Situation überfordert. Dennoch danke ich ihm, denn er hat danach alles in seiner Macht Erforderliche getan und war auch danach für mich da, in jeder Situation (vor allem, wo ich dann noch schwanger wurde, es aber eigentlich nicht hätte sein dürfen....das ist aber eine ganz andere Geschichte).

      LG Ivi

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